#Phraseologismen wie «die Spitze des Eisbergs» oder «the elephant in the room» entfalten in Texten eine besondere Wirkung. Wenn möglich sollte deshalb auch in der Übersetzung ein Phraseologismus verwendet werden – aber nicht um jeden Preis.
Mit der Spitze des Eisbergs meint man in der Regel nicht wirklich einen Berg aus Eis, ausser man befindet sich gerade auf einer Arktisreise, und in einem Zimmer steht kaum je ein Elefant aus Fleisch und Blut. Solche Ausdrücke sind Phraseologismen: Wortverbindungen oder ganze Sätze, die mehr oder weniger idiomatisch sind und daher neben der wörtlichen auch eine übertragene Lesart haben.
Phraseologismen entfalten in Texten eine besondere Wirkung. Sie können zum Beispiel ironisierend wirken oder auf die Schicht des Sprechers hinweisen. In der Politik werden sie oft verwendet, um eine Argumentation zu stützen oder Wertungen auszudrücken. Und in der Werbung wird gerne mit dem Nebeneinander der beiden Lesarten von Phraseologismen gespielt. Im Zweifelsfall lässt man beim Schreiben besser die Finger davon. Doch stehen sie einmal da, stellt sich für Übersetzende die Frage: Wie können sie in die Zielsprache übertragen werden?
Ziel ist immer die sogenannte Äquivalenz. Dazu vielleicht ein andermal mehr (oder man schlage bei Koller 2011 nach). Konkret gibt es folgende Möglichkeiten:
Volläquivalenz: Der Sechser im Lotto
Wenn sich jemand in einer Gruppe schlecht einordnet oder negativ auffällt, ist das Schaf auf Englisch wie auch auf Deutsch schwarz:
be the black sheep < > das schwarze Schaf sein
Kauft man etwas ungeprüft und wird dabei geprellt, so steckt sowohl im Italienischen als auch im Deutschen eine Katze im Sack:
comprare la gatta nel sacco < > die Katze im Sack kaufen
Teiläquivalenz: Dasselbe mit fast denselben Worten
Manchmal sind die Phraseologismen zum Verwechseln ähnlich. So kann man auf Englisch jemanden «schwarz und blau» schlagen; auf Deutsch sind die Farben jedoch «grün und blau»:
beat one black and blue < > jemanden grün und blau schlagen
Glaubt man etwas, das nicht ernst gemeint ist, so nimmt man es auf Italienisch und Deutsch für eine Münze, die «im Umlauf» bzw. «bar» ist:
prendere qualcosa per moneta corrente < > etwas für bare Münze nehmen
Substitutions-Äquivalenz: Dieselbe Bedeutung mit einem anderen Bild
Gibt es ein offensichtliches Problem, das nicht angesprochen wird, so sehen Englisch-Sprechende manchmal einen Elefanten im Zimmer (Achtung, der hat nichts mit dem im Porzellanladen zu tun!). Im Deutschen wird jedoch eher um den heissen Brei herum geredet:
there is an elephant in the room < > um den heissen Brei herum reden
Und wenn sich im Deutschen etwas anbahnt, dann ist es im Busch, während es auf Italienisch in der Pfanne kocht oder von einer Katze ausgebrütet wird:
qualcosa bolle in pentola! / qui gatta ci cova! < > da ist doch etwas im Busch!
Nulläquivalenz: Lieber wörtlich übersetzen als daneben greifen
Manchmal findet man auch nach langem Suchen keinen Phraseologismus, der dasselbe aussagt. So versucht sich der Italiener manchmal hinter einem Finger zu verstecken. Auf Deutsch lässt man dies besser bleiben:
nascondersi dietro un dito < > Ausflüchte suchen, das Offensichtliche leugnen
Und im Englischen wird man manchmal dazu aufgefordert, die Lippen des Gesprächspartners zu lesen. Am besten hört man dann einfach ganz genau zu:
read (watch) my lips < > hör mir genau zu
Autorin: Janine Haas, hallo@schreib.zone
Burger, Harald (2015): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. 5., neu bearbeitete Auflage. Berlin: Erich Schmidt Verlag.
Fleischer, Wolfgang (1997): Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache. 2., durchgesehene und ergänzte Auflage. Tübingen: Max Niemeyer Verlag.
Koller, Werner (2011): Einführung in die Übersetzungswissenschaft. 8. Auflage. Tübingen: A. Francke.
Burger, Harald et al. (2007): Phraseologie. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. Berlin, New York: Walter de Gruyter (2 Bände).